K(l)eine Wahlhilfe – Welcher OB-Kandidat würde Reutlingens Rolle als Einkaufsstadt verbessern

Am Sonntag um 18:00 Uhr steht fest, wer Barbara Bosch in ihrem Amt als Oberbürgermeister von Reutlingen ablöst. Die Themen Verkehr, Wohnraum und Kinderbetreuung dürften die Themen sein, die der künftige Chef im Rathaus nach der Bürgermeisterwahl aus Sicht der Bürger vordringlich angehen muss. Zur Lebensqualität einer Stadt gehören auch Einkaufsmöglichkeiten und Unterhaltungsfaktor der Innenstadt. Welchen Stellenwert hat dieser Themenkomplex bei den OB-Kandidaten?

Es erstaunt schon ein wenig, dass zum Thema „entspannte Einkaufsstadt“ im Wahlkampf kaum etwas zu hören war. Schließlich ist es eines der drei zentralen Themen, auf das die Stadt im Zuge der Markenbildung setzen will. Auch wenn die Verwaltung nur begrenzten Einfluss darauf hat, welche Geschäfte sich in der Stadt ansiedeln, ein paar Maßnahmen stehen zur Verfügung. Doch mit konkreten Aussagen hielten sich der künftige Oberbürgermeister und seine  Mitstreiter zurück.  ShiRT hat die aussichtsreichsten Kandidaten um ein persönliches Statement zur Einschätzung des Einzelhandels und möglicher Maßnahmen gebeten. Zudem haben wir uns die Websites und Facebook-Profile der Kandidaten einmal genauer angesehen.

Dr. Christian Schneider (CDU) setzt auf den „Wow-Effekt“ als Shopping-Turbo

Dr. Christian Schneider widmete wenigsten einen Post auf FB dem Handel in der Stadt (c) Facebook

„…Wir müssen das Thema mit allen Akteuren vor Ort angehen! Sie alle sind wertvolle Ideengeber für eine konzeptionelle nachhaltige Belebung der Innenstadt. Vergessen wir dabei den Tourismus nicht. Es gibt nicht die eine schnelle und einfache Lösung! Wir werden eine Aufwertung der Innenstadt dabei nur durch ein klares Profil erreichen. Unsere Highlights sind: Tolle Altstadt und tolle Kulturangebote! Bewerben wir diese Highlights und werden wir kundenfreundliche Innenstadt! Wir müssen alle Konzepte vom Kunden her denken! Ich habe Gespräche geführt mit dem Einzelhandel vor Ort. Vor allem die Parkplatzsituation und Höhe der Parkgebühren werden immer wieder genannt. Das sollte man schnell angehen.“ (Dr. Christian Schneider)

Als einziger Kandidat griff er das Thema Einzelhandel in Reutlingen einmal in einem Beitrag auf Facebook auf. Leider wird er nicht konkreter was gezielte Maßnahmen angeht. Niedrigere Parkgebühren werden von autofahrenden Kunden sicher sehr begrüßt. In der Pflicht sieht Dr. Schneider weiterhin Händler und Gastronomen mit denen er gemeinsam Konzepte entwickeln will. Aus seiner Sicht begleitet die Stadt dies dann durch kulturelle Angebote und flankierende Marketingmaßnahmen. Er setzt auf den „Wow-Effekt“ im Zusammenspiel von historischer Altstadt mit Angeboten von Handel und Gastronomie. Doch mit welchen Ideen will er dies befeuern?

Zentrale Themen von Dr. Schneider für seine Amtszeit wären die Digitalisierung und die engere Verzahnung mit der Hochschule. Das dürften so umfangreiche Aufgaben sein, dass die Stärkung des Handels eher eine untergeordnete Rolle spielen dürfte.

Thomas Keck (SPD) will durch weniger Autos die Plätze in der Stadt aufwerten und beleben.

Thomas Keck stellt andere Themen auf FB in den Vordergrund. (c) Facebook

„Das Beispiel „Weibermarkt“ zeigt, dass Plätze und gastronomische Angebote das Einkaufserlebnis deutlich aufwerten und die Menschen solche Plätze gerne aufsuchen. Wie gesagt, muss der Autoverkehr dort allerdings zurückgedrängt und auch konsequenter kontrolliert werden. Mir ist es wichtig, das Stadtbild und das Einkaufserlebnis an verschiedenen anderen Plätzen ebenso aufzuwerten, allerdings mit deutlich mehr „grün“ – d.h. Bäume gehören in die Stadt! Große Events mögen ihre Berechtigung haben. Mich selbst überzeugen allerdings die kleinen feinen Veranstaltungen zu verschiedenen Themen und an verschiedenen Plätzen und auch an Toiletten im Zentrum muss gedacht werden.“ (Thomas Keck)

Die Gewerbetreibenden in den Randlagen dürfte es freuen, wenn nicht nur die Wilhelmstraße und der Marktplatz im Fokus stehen. Für die Kunden kann dies eine Bereicherung darstellen, wenn es gelingt interessante Geschäfte und Angebote dort anzusiedeln. Wie er dies erreichen möchte, erfahren wir an dieser Stelle leider nicht. Weniger große Events wäre eine Abkehr von der aktuellen Vorgehensweise, wo meist die komplette Innenstadt eingebunden ist.

Im 10-Punkte Plan auf seiner Website tauchen die Begriff (Einzel)handel oder Shopping nicht ein einzges mal auf. Der Umstieg vom Auto auf ÖPNV und Rad sowie mehr Wohnraum sind die zentralen Projekte von Thomas Keck. Beide Themen haben indirekten Einfluss auf den Handel in Reutlingen. Wie bequem kommen die Kunden in die Stadt und wieviel Geld bleibt den Leuten zum Einkaufsbummel.

Dr. Carl-Gustav Kalbfell (FDP) möchte mehr und bessere Events durch höheren Etat fürs Stadtmarkting

Carl-Gustav Kalbfell ist sehr aktiv auf FB. Ein Posting direkt zum Thema Einzelhandel gibt es auch von ihm nicht (c) Facebook

„Auf meiner Agenda steht die Runderneuerung des Marktplatzes ganz oben. Hier muss die Aufenthaltsqualität durch attraktive gastronomische Angebote, ein funktionierendes W-LAN, Spielmöglichkeiten auch für die Kleinen und ein einladendes Mobiliar gesteigert werden. Eine bereits von mir bei den Händlern durchgeführte Umfrage ergab, dass die vergleichsweise hohen Parkgebühren abschreckend auf die Kundschaft wirken. Hier will ich durch eine Brötchentaste bzw. die erste Stunde ohne Parkgebühr Abhilfe schaffen. Aber auch die Erreichbarkeit der Innenstadt zu Fuß, per Rad oder mit dem Bus (1 Euro pro Fahrt) muss verbessert werden. Die Stadtmarketinggesellschaft muss mehr Geld zur Umsetzung von bereits fertigen Konzepten und Formaten (wie z.B. Reutlingen leuchtet) bekommen. Die Wirtschaftsförderung werde ich mit der Erstellung eines Konzepts zur Beseitigung von Ladenleerständen beauftragen.“ (Dr. Carl-Gustav Kalbfell)

Viele Ideen benennt Dr Carl-Gustav Kalbfell in seinem kurzen Statement, die zum Großteil auf Bekanntem aufbauen. So war die Umgestaltung des Marktplatzes zuletzt im November 2018 im Bauausschuß ein Tagesordnungspunkt. Auch er sieht die Parkgebühren als ein Werkzeug  um Shoppen in Reutlingen attraktiver zu machen. Spannend wäre zu erfahren, welche Konzepte das Stadtmarketing durch mehr Geld umsetzten sollte. Die aktuellen Events locken schon heute massenhaft Besucher aus dem Umland an. Wichtiger wäre es die Kundenfrequenz im gesamten Jahresverlauf anzuheben und nicht nur an bestimmten Tagen.

Die Bundesgartenschau 2029 nach Reutlingen zu holen hat sich Dr. Kalbfell auf die Fahne geschrieben – ein ehrgeiziges Ziel. Sollten tatsächlich Fördermittel fließen, könnte dies einige Projekte in Reutlingen anstoßen. Ob und wie der Handel von einem solchen Ereignis profitiert ist schwer einzuschätzen, zumal bis dahin noch 10 Jahre ins Land ziehen.

 

Es steht zu befürchten, dass sich durch den neuen Oberbürgermeister an der Situation für den Einzelhandel nur wenig ändert. Keiner der OB-Kandidaten hat es als zentrales Thema in seinem Programm. Als kreativer Ideengeber drängt sich ebenfalls niemand auf.  Das „Shoppingerlebnis in Reutlingen“ zählt gewiss nicht zu den Aufgaben mit höchster Priorität, denoch ist es eine wichtige Visitenkarte für die Stadt. Wird hier noch länger gezögert werden wir uns an die Verödung und Leerstände in der Innenstadt wohl dauerhaft gewöhnen müssen.

 

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